Interview | Ein Blick hinter die Kulissen der Friesenbrücke

Die Bauarbeiten an der neuen Friesenbrücke sind in vollem Gange. Die Brücke stellt die seit 2015 unterbrochene Bahnverbindung zwischen Groningen und Bremen wieder her und macht den grenzüberschreitenden Bahnverkehr wieder möglich. Es ist ein großes und umfangreiches Projekt, das viel technisches Wissen, eine detaillierte Planung und eine hervorragende Zusammenarbeit erfordert. Zwei Schlüsselfiguren des Projekts, Alexander Heinemann (Projektleiter Friesenbrücke bei DB InfraGO) und Henning Lohmann (Leiter der Bauüberwachung bei Ingenieurgesellschaft Behnen), geben uns einen Einblick in den Arbeitsalltag.


V.l.n.r.: Henning Lohmann, (IBL Ingenieurgesellschaft Behnen) und Alexander Heinemann (DB InfraGO) (August 2024)

Der Bau dieser Brücke – eine einmalige Chance

Alexander Heinemann, Projektleiter Friesenbrücke bei DB InfraGO (DB), stammt aus Hannover und hat eine Ausbildung als Bauingenieur. Oft ist Alexander zwei Tage pro Woche auf der Baustelle anwesend, wo er die Fortschritte genau im Auge behält und bei eventuellen Problemen sofort Maßnahmen ergreifen kann. „Für mich als Projektleiter bei DB ist es recht einzigartig, fast mehr auf der Baustelle als im Büro in Hannover zu sein“, sagt er und lacht. Vom Büro aus kümmert sich Alexander um die weniger sichtbare Seite des Projekts, zum Beispiel um die Koordination, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten - von den Ingenieuren über die Bauunternehmer bis hin zum Auftraggeber DB - über alle Arbeiten genau im Bilde sind.

Für Henning Lohmann funktioniert Alexanders regelmäßige Anwesenheit gut: „So halten wir uns gegenseitig immer gut auf dem Laufenden und können schnell handeln.“ Henning koordiniert die Bauüberwachung vor Ort. „Auf der Baustelle bin ich quasi die Augen und Ohren der Projektleitung in Hannover. Von der globalen Planung bis hin zu einem konkreten Problem mit der Lieferung oder der Qualität des Betons, ich weiß Bescheid.“ Henning hat auch einen Hintergrund als Bauingenieur und ist auf den Eisenbahnbau spezialisiert. „Schon als Kind interessierte ich mich für das Bauingenieurwesen. Ich wollte etwas Praktisches machen, etwas, das man sehen kann.“ Der Bau der Friesenbrücke stellte eine einmalige Chance dar, ein einmaliges Bauprojekt, das Henning von Anfang an beaufsichtigen wollte.

Dass es sich dabei um eine ingenieurtechnische Meisterleistung handelt, zeigt das beabsichtigte Ergebnis: Mit 355 Metern wird die neue Friesenbrücke die größte Drehbrücke für den Eisenbahnverkehr in Europa sein.

Herausforderungen durch den Gezeitenfluss, die Ems

Eine der größten technischen Herausforderungen beim Bau der Friesenbrücke ist das Fundament in der Ems, einem Gezeitenfluss mit Ebbe und Flut. „Wir mussten außergewöhnlich lange Bohrpfähle installieren, die bis zu 36 Meter tief in den Boden reichen“, erklärt Henning. „Dabei wird auch die Abschwemmung von Flussboden um die Pfähle herum berücksichtigt; kürzlich wurde eine Auswaschung von über 15 Metern festgestellt.“

Für Alexander war das Entfernen der Überreste der alten Friesenbrücke ein denkwürdiger Moment. Ein erster Versuch schlug dabei fehl. Es war eine ziemliche Herausforderung, den Schwimmkran im Gleichgewicht zu halten und die alten Brückenteile genau am richtigen Punkt aus dem Wasser zu heben. Einer der Höhepunkte für Henning war das Betreten der leergepumpten Baugrube im Fluss: „Wir befanden uns etwa 9 Meter unter der Oberfläche der Ems. Als wir die Wände um uns herum betrachteten, erahnten wir den enormen Druck des Wassers.“


Das alte Brückenteil wird vor Ort in Weener auf einen Ponton verladen und anschließend nach Papenburg transportiert (Dezember 2021) [Quelle: DB Netz AG/Alexander Heinemann]

Unerforschtes Gebiet durch Innovation erkunden

Die neue Friesenbrücke wird die längste Drehbrücke für den Schienenverkehr in Europa sein, was Ingenieurarbeit in teilweise unerforschtem Gebiet bedeutet. Das Team der Friesenbrücke setzte unter anderem Simulationen ein, um die technischen Herausforderungen zu bewältigen und alle möglichen Risiken aufzudecken. „Wir haben zum Beispiel die Strömungen und Sedimente in der Ems untersucht und simuliert, was für die Konstruktion des Fundaments und den Schutz der Brücke vor Erosion unerlässlich ist“, erläutert Alexander.

Es wurden auch Modelle in Originalgröße gebaut, um den Betrieb des komplexen Hub-Dreh-Elements zu testen und zu optimieren. Die beiden Friesenbrücke-Experten nennen es eine tolle Herausforderung, interdisziplinär zu arbeiten. Sie koordinieren die verschiedenen Disziplinen und sorgen dafür, dass alles zum richtigen Zeitpunkt zusammenkommt, u.a. Fachwissen aus dem Maschinenbau, dem Wasserbau, dem Beton- und Stahlbau und der Elektrotechnik.


Die Friesenbrücke und der Ems aus der Vogelperspektive (August 2021) [Quelle: DB Sicherheit GmbH]

Kompliziertes Logistik-Puzzle

Auch in der Logistik spielt die richtige Koordination eine wichtige Rolle: „Werden alle Materialien gleichzeitig an der Baustelle abgeliefert, dann entsteht das reinste Chaos!“, bemerkt Henning. „Wir müssen Prioritäten setzen und genau abstimmen, welche Materialien wann benötigt werden“.

Aufgrund des Krieges in der Ukraine verlief die Lieferung von Materialien nicht immer wie geplant. Das zwang Alexander und Henning dazu, mit den Bauunternehmern zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden, zum Beispiel für die verzögerte Lieferung von Stahl. „Das größte Stahlwerk Europas befindet sich in der Ukraine“, erklärt Henning. Von den Bauunternehmern kam die Idee, die Brückenteile zunächst in Papenburg zu bauen und sie mit einem Schwimmkran über die Ems zu transportieren. Während die Stahllieferung in Gang kam, konnten die verschiedenen Brückenteile zeitgleich nebeneinander gebaut werden.

So viel mehr als Technik und Bau

Die Kommunikation innerhalb des Projektteams ist intensiv. „Wir befinden uns eigentlich in einem kleinen technischen Universum“, sagt Henning. „Es ist kein 9-to-5-Job, man muss eine echte Leidenschaft für das Projekt haben“. Auch die externe Kommunikation, zum Beispiel mit lokalen Behörden, spielt eine wichtige Rolle. So gab es zum Beispiel den Wunsch der Gemeinde und der Umgebung, eine Fahrrad- und Fußgängerbrücke einzurichten, was sich zusätzlich auf die technische Gestaltung des Wendebereichs der Brücke auswirkte.


Die Friesenbrücke bietet auch eine Verbindung für Fußgänger und Radfahrer (August 2024)

Auch Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema. „Die Brücke ist für eine Lebensdauer von 100 Jahren ausgelegt“, erklärt Alexander. „Wir achten auf die ordnungsgemäße Entsorgung von Altmaterialien und wenden umweltfreundliche Baupraktiken an“. Der Stahl der alten Friesenbrücke wird von Stahlverarbeitern recycelt und wiederverwendet. „Vielleicht wurde die ehemalige Brücke sogar für Getränke-Dosen verwendet“, meint Henning.

Brückenbauer und die Kraft der Zusammenarbeit

Beide sprechen mit Begeisterung über die Zusammenarbeit im Team. „Die Kluft zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern ist gering. Jeder ist bereit, die Extrameile zu gehen; Herausforderungen werden wirklich gemeinsam und lösungsorientiert angegangen.“ Alexander fügt hinzu: „Ich habe gelernt, dass man nicht alles selbst machen kann. Das Vertrauen und die Offenheit zwischen allen Parteien haben sich als wesentlich erwiesen.“

Auf der Baustelle an der Friesenbrücke und in Papenburg sind in der Regel etwa 100 Personen beschäftigt, in Spitzenzeiten sogar bis zu 200. Internationale Zusammenarbeit ist an der Tagesordnung. So kamen beispielsweise die Taucher für den Betoneinbau aus den Niederlanden, der große Schwimmkran aus Belgien, und die Firma MCE aus Österreich ist für die Stahlkonstruktion und Maschinentechnik der neuen Brücke verantwortlich. Damit hat dieses Bauprojekt nicht nur die üblichen Beteiligten, sondern allerlei neue.

Wie wird es weitergehen?

Der Bau der neuen Friesenbrücke schreitet gut voran; vier Brückenteile wurden bereits montiert. „Ein 70 Meter langes Brückenteil wird im Herbst folgen. Im Dezember schließlich folgt das Drehteil, scherzhaft Big Mac auf der Baustelle genannt“, so Alexander.


Der Einschub der ersten Brückenteile für die neue Friesenbrücke (August 2024)

Die Fertigstellung ist für den Sommer 2025 geplant. Dann wird der Zugverkehr zwischen Groningen und Bremen wieder aufgenommen. Ob wir dann eine weitere Kollision mit der brandneuen Brücke befürchten müssen? Henning schüttelt den Kopf: „Die Durchfahrtsbreite der neuen Friesenbrücke wurde verdoppelt und die Strömung sorgt dafür, dass die Schiffe praktisch automatisch durch die Brückenöffnung geführt werden.“ Zuvor mussten die Schiffe gegen die Strömung fahren, was schwieriger und riskanter war.

Alexander und Henning freuen sich auf die Fertigstellung der Brücke, sind sich aber auch darüber im Klaren, dass ein so großes und einzigartiges Projekt nicht so schnell wieder vorbeikommen wird.

Neugierig, wie die neue Friesenbrücke aussehen wird? Sehen Sie eine beeindruckende Video von DB!